Was ist Rheuma?
Was ist Rheuma?
Wer die Diagnose Rheuma erhält, ist verunsichert. Sie oder er fragt sich: „was habe ich getan, dass ich Rheuma habe?“ und „was wird die Krankheit mit mir alles machen? Falls Sie überhaupt antworten bekommen, dann fallen diese oft sehr unterschiedlich aus. Das verwundert nicht. Denn Rheuma ist nicht gleich Rheuma!
Als Rheumatologe kenne ich die Fragen, die Sie in dieser Situation beschäftigen können. Die meisten davon werde ich versuchen Ihnen hier zu beantworten – allen voran die wichtige Frage:
Was ist Rheuma?
Stellen sie sich folgendes bitte vor: Jemand neben Ihnen hustet. Unglücklicherweise atmen Sie in diesem Moment ein und die vom Nachbarn soeben ausgestoßenen Bazillen werden mit einem Atemzug in Ihre Bronchien gezogen. Ihr Körper erkennt Eindringlinge sofort. Die Bronchialschleimhaut schwillt an und zum Geschehen gerufene Abwehrzellen umzingeln die Bakterien. In einem hitzigen Kampf über die nächsten Tage gelingt es alle Bakterien abzutöten. Danach wird der Kampfplatz noch gereinigt und die beschädigte Schleimhaut wieder aufgebaut. Ihre Bronchen sehen dann so aus, als ob nie etwas gewesen wäre.
Sinnvolle Entzündung
Sie erlebten soeben eine akute Bronchitis. Zuerst füllten Sie sich krank, mussten Husten und Schmerzen ertragen, vielleicht auch Fieber. Aber jetzt geht es Ihnen wieder gut. Gerettet hat Sie ein Bündel an gut aufeinander abgestimmten Körperreaktionen, die als Entzündung zusammengefasst werden. Diese Entzündung ist sehr wertvoll, ja sie ist unverzichtbar.
Nun stellen Sie sich bitte das gleiche Bündel an Körperreaktionen in einem Gelenk, zum Beispiel dem Handgelenk vor. Nur zum Unterschied zu zuvor sind keine Bakterien oder ähnliches vorhanden. Die Entzündung, die hier Arthritis genannt wird, findet scheinbar grundlos statt, sozusagen aus Jux und Tollerei. Es geht Ihnen nicht gut, denn jede Bewegung schmerzt und auch in Ruhe finden Sie kaum Erleichterung. Doch das schlimmste folgt noch, die Zerstörungen. Da es hier keine Keime gibt, nach deren Abtöten dieser Prozess abklingen kann, bleibt die Gelenksentzündung einfach bestehen, für Monate, meist für Jahre. Bleibende Schäden und Zerstörungen an und um das Gelenk sind die Folge.
Das ist Rheuma - eine sinnlose und leider gefährliche Entzündung.
Ist mein Lebensstil schuld am Rheuma?
Die gute Nachricht: bei der Entstehung von Rheuma scheint der persönliche Lebensstil keine Rolle zu spielen. Aber er ist wichtig in der Behandlung!
Hinter Rheuma stecken tiefgreifende Veränderungen in unserem Immunsystem. Diese lassen sich alleine durch eine ungünstige Lebensweise nicht auslösen, mit einer Ausnahme: dem Rauchen. Durch die Verbrennung von Tabak entstehen viele Gifte, Toxine, die eingreifende Veränderungen im Abwehrsystem bewirken und zu Teilschritten in der Entwicklung und Verlauf rheumatischer Leiden beitragen können. Bei der Bechterew Erkrankung (Spondylitis ankylosans), der häufigsten Form der rheumatischen Wirbelsäulenentzündung, führt das Rauchen rascher zur gefürchteten Versteifung des Rückens vom Becken beginnend bis zum Hals. Beim häufigsten Gelenksrheumatismus, der Rheumatoiden Arthritis (chronische Polyarthritis), sind bei Raucher die Zerstörung an Gelenken ausgedehnter.
Die Entstehung von Rheuma ist - wenn man nicht gerade Raucher ist - ein Schicksalsschlag, für den man wenig kann.
Ihr Lebensstil hat also nicht zum Rheuma geführt. Doch können Sie selbst wesentlich zu einem besseren Verlauf der Erkrankung beitragen. Mehr dazu finden sie hier und in meinem Artikel darüber, wie sie Ihre Abwehrkräfte stärken.
Wie hilft eine frühe Diagnose?
Durch eine frühe Diagnose kann nicht nur die Krankheit rechtzeitig behandelt und so Zerstörungen verhindern werden, sondern auch den weiteren Krankheitsverlauf wesentlich beeinflussen. Das ist etwa vergleichbar mit einem Lausbuben, der grundsätzlich ein guter Junge wäre, aber irgendwie auf die schiefe Bahn geraten ist. Wenn ich mich um ihn bemühe, aber erst wenn er schon schwerere Verbrechen begangen hat, dann wird ihm das Gefängnis wohl nicht erspart bleiben. Gelingt es aber ihn früh vom schlechten Weg zu holen, dann wird sein ganzes restliches Leben viel besser verlaufen.
Eine frühe Rheuma-Diagnose kann das Leben des Betroffenen zum Besseren wenden. Das ist eine wunderbare Sache. Aber ist dies auch möglich?
Herausforderung 1: Große Anzahl rheumatischer Krankheitsbilder
Im Volksmund werden viele schmerzhafte Leiden des Bewegungsapparates am Rücken oder an den Gelenken von Armen und Beinen als Rheuma bezeichnet. Die meisten sind jedoch durch das Alter und die damit einhergehenden Abnützungen bedingt. Der Arzt hingegen meint mit Rheuma Erkrankungen, die mit der geschilderten sinnlosen Entzündung einhergehen. Davon gibt es leider eine kaum überschaubare Anzahl, denn es sind 420 Krankheitsbilder.
Auch wenn Schmerzen an Gelenken und am Rücken die häufigsten Beschwerden bei Rheuma sind, kann hinter Haarausfall, Augenentzündungen, Bläschen im Mund, Schmerzen beim Einatmen oder auch nur Kurzatmigkeit, Brustschmerzen, Verfärbungen der Finger und Veränderungen an den Nägeln eine rheumatische Entzündung stecken. Allein diese Vielfalt der Symptome erschwert die Diagnose wie auch die Behandlung von Rheuma.
Herausforderung 2: Rheuma ist bei jedem Patienten anders
Selbst wenn die richtige Diagnose gefunden ist, steht damit die Behandlung noch gar nicht fest. Denn jedes Rheuma, auch bei gleicher Diagnose, läuft anders. Das liegt vor allem daran, dass sich ein und dieselbe rheumatische Erkrankung bei zwei unterschiedlichen Patienten auch komplett unterschiedlich entwickeln kann. Es kann sein, dass sich zwei Patienten treffen, die an der gleichen Krankheit leiden, aber im gemeinsamen Gespräch feststellen, kaum gemeinsame Symptome oder Krankheitszeichen zu haben. Deswegen braucht jeder Rheumakranke eine auf seine Person abgestimmte Behandlung.
Sie sehen schon, wie schwierig es ist, sich zu orientieren. Es ist ganz normal, sich mit anderen Betroffenen zu unterhalten, Erfahrungen auszutauschen und herauszufinden, wie andere zurechtkommen. Leider können Sie nie gewiss sein, ob sich ihr Rheuma gleich entwickelt oder auf die gleiche Behandlung anspricht. Einer meiner Lehrmeister in meiner Ausbildung pflegte immer zu sagen: „Jeder hat sein eigenes Rheuma.“
Deshalb kann es auch sein – und das ist eine Erfahrung aus meiner täglichen Praxis mit Rheumapatienten – dass ich an einem Tag einen Betroffenen behandle, der viele verschiedene Symptome seiner Erkrankung hat, aber die Krankheitsaktivität als milde eingestuft werden kann. Hier kann ich die Behandlung auch milder gestalten. Am nächsten Tag sitzt dann eine Patientin bei mir, die vielleicht nur zwei Zeichen derselben Erkrankung aufweist und dennoch erkenne ich dahinter einen aggressiven, zerstörerischen Krankheitsprozess, der mich um ihre Gesundheit bangen und, wenn Organe angegriffen werden, auch um ihr Leben fürchten lässt.
Die Behandlung wird immer von mir als Rheumatologe auf Ihre ganz persönliche Situation ausgerichtet.
Herausforderung 3: Rheuma ist zu unterschiedlichen Zeiten anders
Als ob diese Variabilität von Rheuma Patient und Arzt nicht schon fordern würde, werden wir noch ein drittes Mal vor eine Herausforderung gestellt. Ein und dieselbe Erkrankung kann sich in ein und derselben Person zu verschiedenen Zeitpunkten sehr unterschiedlich zeigen. Hier fällt mir eine sehr nette Kollegin von mir ein. Gleich zu Beginn Ihrer Erkrankung befiel Rheuma ihre Niere. Die Entzündung drohte dieses Organ zu zerstören. Zuerst schien nichts zu helfen. Erst die Kombination von gleich mehreren Medikamenten schließlich erbrachte den sehnsüchtig erwarteten Erfolg. Die Entzündung wurde gestoppt und es blieben nur kleine Narben in den Nieren. Über die nächsten Jahre lief alles ruhig bis nach 10 Jahren die Krankheit nochmals aktiv wurde. Nun als Gelenksentzündung an beiden Händen. Dieses Problem konnten wir durch eine Umstellung der Medikamente rasch in den Griff bekommen.
Achten Sie daher auf Änderungen in Ihrem Beschwerdebild und lassen sie immer wieder mal den Rheumatologen nachsehen. Denn die Krankheit kann sich ändern und damit die notwendige Behandlung!
Wie sieht eine umfassende Behandlung von Rheuma aus?
In der Rheumatherapie gibt es immer zwei Ziele.
Ziel 1: Die entzündliche Zerstörung verhindern.
Dazu braucht man gute Medikamente und eine unterstützende Betreuung. So wie man beim Backen eines Kuchens ausgewählte Zutaten im richtigen Verhältnis mischt und sich dann über das gelungene Ergebnis freuen kann, so stelle ich die Rheumatherapie zusammen.
Die Behandlung ist eine gute Mischung von vielen Zutaten. Medikamente spielen dabei sehr häufig, wenn auch nicht in allen Fällen, eine gewichtige Rolle. Gerade wenn die Entzündung sehr aggressiv ist, braucht es Medikamente, die kraftvoll genug sind, diese Entzündung nicht nur im Zaum zu halten, sondern auch wirklich auf Null zu setzen. Vollständiger Krankheitsstillstand muss das Ziel sein.
Doch das alleine wäre zu wenig, es braucht auch Unterstützung durch den Lebensstil. Dazu gehören Bewegung, Heilgymnastik (Physiotherapie) und Fingerübungen (Ergotherapie). Besonders für die Wirbelsäule und bei den Gelenksentzündungen ist es ein unabdingbarer Teil der Behandlung, die auftretenden Belastungen gering zu halten.
Auch das Essen und natürliche Produkte können die Aktivität der Erkrankung reduzieren. Auf dem Speiseplan sollte viel Gemüse stehen, denn die Vitalstoffe und Sekundärstoffe wirken sich gut im Abwehrsystem aus. Aber auch zweimal in der Woche Fisch vor allem aus der kalten Meeresregion. Die Klassiker sind Lachs, Makrele, Hering und Thunfisch. Wenn Sie pflanzliche Produkte bevorzugen, sind Nüsse eine gute Alternative dazu. Die meisten sind reich an Omega 3, die im Körper in entzündungshemmende Substanzen umgewandelt werden.
Lesen Sie zu diesem Thema auch meinen Artikel, wie Sie mit der richtigen Ernährung Ihre Abwehrkräfte stärken!
Ziel 2: Die Schmerzen nehmen.
Entzündung und Begleitumstände führen zu Schmerzen. Schmerzen sind das, was das Leben der Patienten wohl am meisten beeinträchtigt. Deshalb ist das zweite wichtige Ziel in der Rheumabehandlung, dass man die Schmerzen so gut und so rasch wie möglich nimmt. Hier gibt es viele Möglichkeiten.
Als Selbsthilfe zu Hause verwendet lindern Topfenumschläge Entzündungen und warme Bäder Rückenschmerzen. Bei uns im Gesundheitsquadrat werden sehr gerne Paraffinbäder gegen Fingerschmerzen von unseren Patienten genützt. Für den Rücken greifen wir häufig auf Behandlungen mit Strom (Elektrotherapie) wie TENS zurück.
Medikamente sind bei akuten Schmerzen unverzichtbar. Sollten die sogenannten Antirheumatika (NSAR) mal nicht ausreichen, helfen wir unseren Patienten mit Infusionen den Schmerz rasch wieder unter Kontrolle zu bekommen. Erweisen sich Beschwerden an Gelenken und Rücken als hartnäckig, führe ich persönlich gezielte Injektionen an diesen Herden durch. Das bringt oft die sehnsüchtig erwartete Erleichterung.
Mit Rheumaschmerzen leben
Leider ist es nicht in allen Fällen möglich, die Schmerzen dauerhaft zu beseitigen. Daher muss man manchmal auch lernen, mit Schmerzen besser leben zu können. Das ist einfacher gesagt als letztlich umgesetzt. Hier helfen wir mit unterschiedlichen Techniken und bei Bedarf holen wir Hilfe dazu.
Eine einfache Methode ist die Ampeltechnik. Man stellt sich eine Kreuzung vor. Auf der einen Straße fährt gerade der Schmerz heran. Doch die Ampel beginnt zu blinken und schaltet auf Rot. Nun hat die andere Straße das Fahrtrecht. Auf dieser findet das Leben statt. Man sagt zu sich: „Okay Schmerz, ich nehme dich wahr, du bist ein Teil von mir. Aber die Ampel steht heute gerade auf Rot für dich und du musst stehenbleiben. Grün ist jetzt mein Leben geschaltet und ich mache nun mit diesem weiter.“ Glauben Sie mir, dass hilft!
Radiointerview zum Thema ``Was ist Rheuma?``
Anlässlich des Weltrheumatages 2019 wurde ich vom Freak Radio ins RadioCafé des Wiener Funkhauses zu einem Interview eingeladen. Dabei habe ich mich bemüht, häufige Fragen zum Thema „Rheuma“ zu beantworten.
Wenn bei Ihnen noch Fragen zur Erkrankung offen geblieben sind, können Sie hier noch einmal reinhören und vielleicht Ihre Antworten finden.
Dr. Stefan Egger